Freitag, 21. März 2014

DvH 2: Barmherzigkeit

Fortsetzung von hier

2. Teil

Barmherzigkeit setzt die Fähigkeit, helfen zu können, voraus


Ferner setzt das Mitleid als spezifisch menschliches Verhalten das verwundbare menschliche Herz voraus. Es liegt im Mitleid ein spezifisches Verstehen des Leidenden, es impliziert das spezifische "Verstehensorgan" des Gleichgestellten. 

Die Barmherzigkeit ist eine viel geistigere Antwort. In ihr liegt zwar auch ein letztes "Verstehen", aber das Verstehen, das nur der besitzt, der etwas von oben her umfasst, der es noch tiefer versteht, weil er darüber steht, so wie Gott uns noch näher ist, als wir uns selbst sind, gerade weil er unendlich überlegen ist. Darum sagten wir eingangs, der Barmherzige beherrsche die ganze Situation, weil er sie von Gott her sieht und in der Teilhabe an Gott von oben her umfasst.

Endlich setzt die Barmherzigkeit eine Situation voraus, in der wir durch unser Eingreifen etwas ändern können. Dies ist bei Gott "a fortiori" immer der Fall, bei uns Menschen aber nur in sehr beschränktem Maß. 

Das Mitleid hingegen ist an diese Voraussetzung durchaus nicht gebunden. Wenn ein Mensch durch einen Todesfall schwer getroffen wird, so können wir ihm unser ganzes Mitleid zuwenden - für die Entfaltung der Barmherzigkeit fehlt die Unterlage. Dieses Moment hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Barmherzige stets der "Überlegene" sein muss. Sie setzt die Fähigkeit, irgendwie zu helfen, das Beherrschen der Situation "von oben her", voraus. Barmherzigkeit kann der üben, der Schulden erlassen kann, der als Gesunder dem Kranken beistehen kann, der auf irgendwelche Rechte und Forderungen zugunsten anderer verzichten kann. So hebt sich die Barmherzigkeit deutlich vom Mitleid ab.



Barmherzigkeit und Gerechtigkeit


Die Barmherzigkeit bildet eine spezifische Antithese zur strengen Gerechtigkeit. Nicht die Liebe schlechtweg ist die Antithese zur Gerechtigkeit, wie man oft meint, sondern die barmherzige Liebe. Sie misst nie mit dem Maßstab: "Was hat der andere verdient?", sondern geht darüber hinaus, in einem Überschwang der gütigen Liebe. 

Wir wissen wohl, was unser Schicksal wäre, wenn Gott nur den Maßstab der Gerechtigkeit anlegte. Beten wir doch: "Si iniquitates observaveris, Domine: Domine, quis sustinebit?", "wenn Du wolltest der Sünden gedenken, Herr, o Herr, wer könnte vor Dir bestehen?" (Ps 129,3). Jedoch hat selbstverständlich dieses "Hinausgehen über die Gerechtigkeit" nichts mit Ungerechtigkeit zu tun. Die Barmherzigkeit bildet nicht eine Antithese zur Gerechtigkeit in dem Sinne, dass der Wert der Gerechtigkeit dabei verlorenginge. Sie enthält den Wert der Gerechtigkeit "per eminentiam", "durch Überholung".

Alles, was den Wert der Gerechtigkeit ausmacht, ist in der Barmherzigkeit in noch größerem Maße enthalten. Gott hört nicht auf, der Allgerechte zu sein, indem er der Allerbarmende ist. "Rex tremendae maiestatis, qui salvandos salvas gratis, salva me, fons pietatis", "König, vor dessen Majestät wir erschauern, der Du frei erlösest, die Du erlösen willst, erlöse mich. Quell der milden Güte!" (Sequenz: Dies irae.) Dass dies in Gott so ist, dem absolut Einfachen, der alle Fülle des Seins umfasst und in dem die "coincidentia oppositorum" (das Zusammenfallen der Gegensätze), statthat, ist nicht schwer zu sehen. Aber wie steht unsere Barmherzigkeit zur Gerechtigkeit? Wie sehen die Situationen aus, in denen wir die Barmherzigkeit walten lassen sollen?


(Zwischenüberschriften eingefügt von FW)
Fortsetzung HIER

Teil 1, 3, 4, 5

aus: Dietrich von Hildebrand, Gesammelte Werke X - Die Umgestaltung in Christus; Verlag Josef Habbel Regensburg/ W. Kohlhammer Stuttgart; AD 1971; S.290f;  (s. Quellen)


Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. (Mt 23,23)


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