Donnerstag, 7. November 2013

Prof. G. May: Die andere Hierarchie - Teil 6: Die Lage (2)

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie
Teil 6


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung: II. Die Lage - 1. Fakten

Dem Papst steht es zu, Bischöfe zu ernennen bzw. ihre Wahl zu bestätigen (c. 377 §1). Im größten Teil Deutschlands wählen die Domkapitel aus einer Dreierliste, die der Heilige Stuhl vorlegt, den Diözesanbischof. Der Papst hat es also in der Hand, wer auf die Liste kommt. Vorher gehen Vorschläge der deutschen Bischöfe bzw. Domkapitel für angeblich zum Bischofsamt geeignete Personen an den Heiligen Stuhl. Die Auswahl der Bischofskandidaten durch den heiligen Stuhl ist nun nicht über jeden Zweifel erhaben. Es ist bekannt, dass der Heilige Stuhl gegen gewisse Personen, die von deutschen Bischöfen bzw. Domkapiteln als Bischofskandidaten vorgeschlagen wurden, starke Bedenken gehabt hat, dass er sie aber auf wiederholtes Drängen bestimmter Bischöfe zurückstellte und ihrer Bestallung zum Diözesanbischof zustimmte. Die Folgezeit hat gezeigt, wie berechtigt die Bedenken waren.

In der deutschsprachigen Schweiz haben die Domkapitel noch weitergehende, längst antiquierte und äußerst gefährliche Rechte (17). Dem Heiligen Stuhl bleibt nur die Möglichkeit, den Gewählten zu bestätigen oder abzulehnen. Angesichts der gereizten antirömischen Stimmung und der schismatschen Zuckungen in diesem Land wagt es aber der Papst nicht mehr, einen Kandidaten zu verwerfen. Die Bestätigung der Wahl des Kurt Koch zum Bischof von Basel, der noch im Jahre 1992 eine Lobrede auf Hans Küng hielt, war ein regelrechter Skandal, ein echtes Ärgernis. Wiederum hatte der Heilige Stuhl Drohungen nachgegeben.

In den Bischofskonferenzen neuen Stils (cc. 447 - 459) hat sich der Papst die pressure groups geschaffen, deren er nicht mehr Herr wird. Um den offenen Konflikt zu vermeiden, geht der Heilige Stuhl mit ihnen, vor allem mit der deutschen, äußerst nachsichtig um. Dies geschieht auch da, wo energisches Handeln dringend gefordert wäre. So hat der Heilige Stuhl niemals erkennbar etwas Energisches gegen die Lehrabweichungen von der kirchlichen Sexualmoral in Deutschland getan. Die völlig unkatholische Königsteiner Erklärung wird in unserem Land nach wie vor gegen die gesamtkirchliche Lehre ins Feld geführt (18). So wird das katholische Volk eines ganzen Landes im Irrtum gehalten.

Ganz schlimm steht es um das Schicksal der Lehräußerungen des Apostolischen Stuhles. Ich erwähne einige Beispiele.

-  Am 8. April 1979  richtete Johannes Paul II. ein Schreiben an die Priester der Kirche. Wenig später erschien ein Machwerk gewisser Theologen, in dem die Lehre des Papstes zerpflückt oder zerrissen wurde (19).

-  Der Papst unterbreitete in der Enzyklika "Veritatis splendor" vom 6. August 1993 lichtvoll die Grundsätze katholischer Sittlichkeit (20). Sogleich fielen die dissentierenden Moraltheologen über diese Lehrvorlage her und kritisierten sie in Grund und Boden (21).

-   Die Kongregation für die Glaubenslehre legte eine Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen vor (22). Augenblicklich traten deutsche Theologen zum Angriff gegen dieses Dokument an (23).

Die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz ließen ein Papier ausgehen, in dem sie sich außerstande zeigten, die kirchlichen Grundsätze über die Spendung der Sakramente auf betimmte Personengruppen richtig anzuwenden. (24). Die Kongregation für die Glaubenslehre wies die falschen Ansichten der oberrheinischen Bischöfe zum Kommunionempfang von Personen, die hartnäckig im Zustand der schweren Sünde verharren, zurück (25).

Sofort traten sogenannte fortschrittliche Theologen den Falsches lehrenden Bischöfen zur Seite (26). Diese selbst sind weit davon entfernt, sich der Weisung des Apostolischen Stuhles eindeutig zu beugen (27). Der Heilige Stuhl hat auf den ominösen zweiten Brief der Bischöfe nicht reagiert. Es ist offensichtlich, dass in Deutschland kaum jemand daran denkt, sich vom Heiligen Stuhl zur Ordnung rufen zu lassen. Die Kommunionausteilung an Kommunionunwürdige geht munter weiter.

Es ist stets das gleiche Bild. Wann immer der Papst persönlich oder durch das Stellvertreterorgan der Römischen Kurie Lehre und Ordnung der Kirche vorträgt, findet er unter den progressistischen und modernistischen Theologen heftigen Widerstand. Man sucht seine Lehre als die private Meinung eines Mannes hinzustellen und ihn dadurch von der Kirche zu isolieren. In Wirklichkeit spricht im Papst, der die gesunde Lehre vorträgt, die gesamte Kirche, insofern sie der Weisung des Heiligen Geistes folgt.


2. Bewertung

Die angeführten Beispiele zeigen, dass der Apostolische Stuhl wider bessere Erkenntnis zurückweicht, wenn nur gehöriger Druck auf ihn ausgeübt wird, oder zwar die richtige Lehre neben die fasche setzt, aber die falsche Lehre nicht zum Verschwinden bringt. Gutwillige meinen, der Apostolische Stuhl sei nicht von den Exzessen unterrichtet, die sich in den meisten deutschen Diözesen zutragen. Diese Meinung ist mit Sicherheit falsch. Der Heilige Stuhl ist unterrichtet; es sind ungezählte Briefe wacher und verantwortungsbewusster Christen nach Rom gegangen, viele haben sich an den Apostolischen Nuntius gewandt und ihre Beschwerden vorgebracht. Doch alle diese Vorstellungen blieben ohne erkennbares Echo.

So nimmt es nicht wunder, dass der Heilige Stuhl seit geraumer Zeit als erpressbar gilt.Wenn es nur gelingt, genügend Massen der Theologenschaft oder des Kirchenvolkes in Bewegung zu bringen für eine gewünschte Änderung in Lehre und Ordnung der Kirche, dann gibt, so ist man heute überzeugt, der Papst nach. Nichtkatholische Religionsgemeinschaften haben diesen Mechanismus erkannt und bauen auf ihn. Als die Altkatholiken es unternahmen, Frauen die sogenannte Priesterweihe zu erteilen, wiesen sie triumphierend auf die vielen Fälle hin, in denen die katholische Kirche Positionen geändert hatte, die sie zuvor als unaufgebbar bezeichnet hatte.

Diese Nachgiebigkeit hat schlimme Folgen. Durch sein fortwährendes Zurückweichen vor dem Druck von unten begibt sich der Heilige Stuhl immer mehr seiner Autorität. Eine Obrigkeit, die Gesetze erlässt, aber ihre Übertretung folgenlos hinnimmt, verspielt ihre Macht. Eine Obrigkeit, die unsicher ist und schwankt, zerstört sich selbst und bereitet anderen Mächten das Feld. "Jede Politik halte ich für eine bessere als eine schwankende", sagte richtig Bismarck. Wer sich erpressen lässt, findet durch Nachhgeben keine Ruhe. Jede Konzession löst neue Forderungen aus. "Schrittweises Zurückweichen ist oft schlimmer als ein Sturz" (Maria von Ebner-Eschenbach).

Am Heiligen Stuhl meint man, mit Übersehen, Dulden und Konnivenz den Bruch mit den "Ortskirchen", wie man heute sagt, vermieden zu haben. Ich erlaube mir an ein Wort zu erinnern, das der Priester Maury zu Beginn der Französischen Revolution sprach: "Die oft der Schwäche nahekommende Milde ist es, die stets die Aufstände und Rebellionen dreist und keck macht." Eines ist sicher: Eine Autorität, die sich derer nicht mehr zu erwehren weiß, die sie und die ihnen anvertraute Institution zu zerstören suchen, gibt sich selbst auf.


(17)  Heinz Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz (= Münchner Theologische Studien, III. Kanonistische Abteilung, 36. Bd.), St. Ottilien 1977
(18)  Dietmar Mieth, Geburtenregelung. Ein Konflikt in der katholischen Kirche, Mainz 1990; Giovanni Sala, Die Königsteiner Erklärung 25 Jahre danach: Forum Katholische Theologie 10, 1944, 97 - 123
(19)  Georg Denzler (Hrsg.), Priester für heute. Antworten auf das Schreiben Papst Johannes Paul II. an die Priester. Mit Dokumentation des Papstschreibens vom 8. April 1979, München 1980
(20)  Enzyklika "Veritatis splendor" vom 6. August 1973 (Acta Apostolicae Sedis 85, 1993, 1133 - 1228)
(21)  Dietmar Mieth (Hrsg.), Moraltheologie im Abseits? Antwort auf die Enzyklika "Veritatis Splendor" (Quaestiones disputatae 153), Freiburg i.Br. 1994
(22)  Instruktion "Domum veritatis" vom 24. Mai 1990 (Acta Apostolicae Sedis 82, 1990, 1550 - 1570)
(23)  Peter Hünermann, Dietmar Mieth (Hrsg.), Streitgespräch um Theologie und Lehramt. Die Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen in der Diskussion, Frankfurt a. M. 1991
(24)  Die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz, Zur seelsorglichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen. Einführung, Hirtenwort und Grundsätze, Freiburg i.Br., Mainz, Rottenburg 1993
(25)  Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen vom 14. September 1994 (Acta Apostolicae Sedis 86, 1994, 974 - 979)
(26)  Theodor Schneider (hrsg.), Geschieden - wiederverheiratet - abgewiesen? Antworten der Theologie (= Quaestiones disputatae 157), Freiburg i. Br. 1995
(27)  Die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz, Zur Seelsorge mit Wiederverheirateten geschiedenen im Oktober 1994, Freiburg i. Br., Mainz, Rottenburg 1994



Fortsetzung folgt in unregelmäßigen Abständen

4 Kommentare:

  1. Ein guter und wahrer Beitrag von Prof May - wie immer.

    Ich habe gerade in einem anderen Zusammenhang folgenden Satz gelesen:
    "Für den Machterhalt opfern sie Grundsätze."
    Das passt auch vor allem in der deutschen Kirche.
    Denn wenn die Kirche nach der Mehrheitsmeinung der Menschen handelt und nicht nach den Geboten Gottes bedeutet das auch:
    Mehr "Gläubige", d.h. Kirchensteuerzahler =
    mehr Einkommen und daher auch mehr Einfluß und mehr Macht.
    Mit diesem "Laisser faire" läßt man die "Gläubigen" bestimmen, was gut und was schlecht ist.
    Ich weiß nicht, wo das noch hinführt, zu einer Anpassung an die Welt?

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  2. Ich weiß auch nicht, wo das noch hinführt. Sicher ist, dass die Kirche nicht untergehen wird. Vielleicht geht sie in Deutschland unter, oder im deutschsprachigen Raum, vielleicht in Europa. In China und in Afrika beispielsweise wächst die Kirche. Vielleicht wird man einmal von da aus auch Europa wieder missionieren.

    M.E. besteht im deutschsprachigen Raum keine Einheit mehr im Glauben. Tatsächlich meinen sogar (dt.) Bischöfe, dass die Mehrheit über Glaubensinhalte bestimmen könne (zuletzt sogar angeblich der Münchner Kardinal Marx: http://www.kath.net/news/43616).
    Das geht aber nur in dem Fall, in dem diese Mehrheit mit der Glaubenslehre übereinstimmt.

    Es ist abwegig, "Gläubigen", die im Sinne der Kirche garnicht glauben (sei es, weil sie ein oder mehrere Dogmen leugnen oder ablehnen, sei es, dass sie das, was die Kirche zu glauben vorstellt, nicht annehmen wollen), dass solchen ungläubigen Katholiken also von progressistischer Seite der sogenannte "Sensus fidelium" untergeschoben wird. Dieser "Glaubenssinn der Gläubigen" ist nur denjenigen Gläubigen eigen, die treu zu dem von den Aposteln bis zu uns überlieferten Glauben stehen und all das bejahen, was die Mutter Kirche uns zu glauben vorlegt. Man kann also unmöglich im Namen dieses "Sensus fidelium" den Glauben verändern, mit der irrwitzigen Begründung, die Mehrzahl der getauften Christen habe eine vom (bisherigen) Glauben der Kirche abweichende Meinung. Immer wieder denken sich die Irrlehrer neue Tricks und Kniffe aus, um den Glauben zu verwässern oder zu verfälschen.

    Wir müssen uns also an jene katholischen Priester und Bischöfe halten, bei denen wir sicher sein können, dass sie den Glauben unverfälscht und authentisch bewahren und lehren. Bewahren wir die Freude am Glauben und an der Berufung, der katholischen Kirche, d. i. die Kirche Jesu Christi, angehören zu dürfen und versuchen wir diesen Glauben so gut als möglich zu leben, indem wir uns nach Gottes Geboten richten, die Sakramente empfangen, indem wir beten und allen Gutes tun. Mehr können wir wohl nicht tun...

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  3. http://blog.derherralipius.com/2013/11/hauptsache-es-schmeckt.html

    Der Herr Alipius hat in diesem Artikel genau ausgedrückt, was viele von der Kirche erwarten, Das schlimme ist nur, daß viele Bischöfe und Priester die Dinge so laufen lassen und dem nichts entgegenzusetzen haben. Sie leiden unter Menschenfurcht oder Bequemlichkeit oder Angst vor Verlust des Einflußes. Und alle spielen mit frei nach Pippi Langstrumpf: "Ich mache mir die Kirche, wie sie mir gefällt"

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  4. Liebe Kassandra, vielen Dank für den Hinweis!
    Der beim Herrn Alipius verlinkte Artikel in der "Welt" aus dem Jahre 2010 passt wunderbar zum nächsten Teil (Teil 7) dieser Reihe (Link siehe oben). Er schildert, was passieren würde, wenn man die Bischofsernennungen dem ganzen kirchensteuerzahlenden Volk Gottes überlassen würde...
    Habe ihn deshalb gleich in Teil 7 ebenfalls verlinkt.

    http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article7959442/Wie-Anselm-Gruen-amp-Co-die-Theologie-verniedlichen.html

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